Modellarbeit
Written by grauhut
“Warum genau” mault Jessy und zieht eine Schraube fest “hast du unsere Dienste für dieses schwachsinnige Projekt angeboten?”
Wir bauen gerade einen virtuellen Telefonraum auf, in dem alle Teilnehmer als Avatare ihrer selbst in Erscheinung treten und miteinander live interagieren können. Technik die so teuer ist, dass sie dem Budget für den Wartungsvertrag unserer Kaffeemaschine ernsthaft Konkurrenz machen könnte.
“Einerseits weil es unsere Pflicht ist, den technischen Fortschritt in der Firma zu begleiten.”
“Uhuuuu.”
“Andererseits” sage ich und verbinde die beiden Glasfaserkabel mit einer kleinen Box im Inneren der Appliance “weil ich das schon lange einmal ausprobieren wollte.”
“Und was genau ist das?”
“Nun… Hättest du in ‘Betrieb vernetzter Rechenanlagen’ weitergelesen, wüsstest du es. Geduld du haben musst, mein sehr junger Padawan.” äffe ich eine bekannte Science-Fiction Trilogie (!) nach und ernte dafür prompt ein mit leichtem Seufzer akzentuiertes Augenrollen.
Wir beenden die Arbeiten, testen das System kurz und geben es dann für einen eingeschränkten Nutzerkreis, mit Büros in die Sonnenlicht auf billige Polyesteranzüge scheint, frei. Schon wenige Stunden später verrät mir ein Blick auf den Trafficmonitor, dass mehrere hundert Gigabyte an Daten ausgetauscht wurden. Noch während ich mir die Hände reibe, erscheint ein schlechter Polyesteranzug im Türrahmen.
“Haben Sie einen Moment?” fragt der Anzug.
Ich löse meine Augen von der Konsole und sehe ihn fragend an. “Haben Sie ein Ticket?”
“Nein, aber ich war gerade auf der Etage und…” er überlegt kurz “…es geht um ein Problem mit meinem Laptop”. Er deutet auf ein relativ neues Tablet mit Tastatur. Ein Tablet, das, soweit ich mich entsinnen kann, nicht zur Ausstattungsreihe der Firma gehört. Ich hebe eine Augenbraue.
“Für Dienstgeräte benötige ich auf jeden Fall ein Ticket.” sage ich und lächele ihn freundlich an. Währenddessen hat die Software für Gesichtserkennung, die wir mit der Sicherheitskamera über unserer Tür und den Fotos aus der Mitarbeiterdatenbank gespeist haben, sein Profil eingeblendet. Er ist noch keine zwei Wochen in der Firma. Entweder glaubt er wirklich, wir würden alles reparieren was man uns hinhält oder seine Kollegen haben sich einen üblen Scherz mit ihm erlaubt.
“Oh. Das ist mein privater Computer. Ich dachte ich könnte Sie um einen Gefallen bitten.” Er lächelt freundlich zurück.
“Was genau funktioniert nicht?” frage ich und schüttele mit dem Kopf. Ein Signal, das Jessy dazu veranlasst, den elektrischen Tacker sinken zu lassen und das Büro in Richtung des kleinen Lagers zu verlassen.
“Er geht ständig aus!” jammert der Anzug. “Vor allem jetzt, wo es wärmer wird.”
“Das klingt nach einer Cryo-Quanten-Destabilierung im Rechenwerk ihres Hauptprozessors.” sage ich und aktiviere damit den Layer 8 Modus.
“Ah. Und was kann man dagegen tun?”
“Der Prozessor funktioniert bei kälteren Temperaturen besser. Die modernen CPUs arbeiten mit Quantentechnik, die tiefe Temperaturen voraussetzt. Normalerweise regelt die Kühleinheit im Inneren des Gerätes das für Sie.”
“Aber wie soll ich das erreichen?” fragt der Nutzer entsetzt. Offenbar hat er eines der Büros abbekommen, in dem noch keine Klimaanlage verbaut ist.
“Nun…” sage ich verschwörerisch. “Es gibt einen einfachen Weg, aber die Hersteller wollen nicht, dass Sie das wissen. Damit sie teure Ersatzteile verkaufen können. Sie verstehen?”
Er nickt. “Was muss ich tun?”
“Sie können sehr einfach durch den kleinen Nachfüllstutzen an der Seite neues F778-QUANT Kühlmittel nachfüllen. War das im Lieferumfang mit dabei?”
“Nein!” ruft der Nutzer. “Diese Schweine!”
“Entsetzlich wozu Kapitalismus die Menschen treibt.” rufe ich. “Sie können es zum Glück für einige hundert Euro im Handel nachkaufen.”
“Einige… HUNDERT EURO?” ruft er entsetzt. “Das ist fast so viel, wie das Gerät gekostet hat!”
“Nunja…” sage ich und drehe mich nach links und rechts. “Es gäbe da noch eine andere Option.”
“Die wäre?”
“Für 50€ könnte ich Ihnen einen unserer Nachfüllkanister ausleihen. Sie müssten ihn nur nach getaner Arbeit wieder zurückbringen.”
So schnell habe ich noch nie jemanden nach seinem Portemonnaie greifen sehen. Eine Minute später händigt Jessy ihm einen runden Stahlbehälter mit der Aufschrift F778-QUANT und einem praktischen Füllschlauch aus. Glücklich zieht er von dannen.
“Wie lange haben wir?” fragt Jessy.
“10€, dass es in 4 Minuten soweit ist.” sage ich.
“Halte ich!” kontert sie und setzt offenbar darauf, dass der Polyesteranzug die Treppen nimmt.
Vier Minuten und 10€ später dringt ein schriller Alarm durch das Gebäude. Der Nutzer hat es offenbar geschafft, den umlackierten Pulverfeuerlöscher mit verklemmtem Auslöser vollständig in sein Gerät zu entleeren und dabei die äußerst empfindliche Brandmeldeanlage ausgelöst. Ein Blick auf die Überwachungskamera im Korridor vor seinem Büro zeigt, wie er in einem schneeweißen Anzug und mit verklebten Brillengläsern in den Gang rutscht und dabei einen seiner Kollegen mitreißt.
Während wir am Sammelpunkt vor dem Gebäude auf das Eintreffen der Feuerwehr warten, gesellt sich der Chef zu uns.
“Dieses neue Konferenzsystem ist großartig!” proklamiert er beschwingt. “Sie ahnen ja nicht, wie viel Zeit ich dadurch spare.”
“Uhu” murmele ich uninteressiert und schaue dem Wachdienst dabei zu, wie er einen Mann in einem weißen Anzug aus dem Gebäude begleitet, während das Auto der Feuerwehr vor unserer Firmenzentrale zum Stehen kommt. Gelangweilt steigen die Mitglieder des Einsatztrupps zum zweiten Mal in dieser Woche von ihrem Gefährt und begeben sich auf den Weg in die Brandschutzzentrale.
“Ab wann wird das für die ganze Firma freigeschaltet?” fragt der Chef begeistert. Er sieht sich offenbar bereits zu seinen Untergebenen sprechend.
“Ich denke, wir sollten damit noch warten. Bei solchen komplizierten Systemen kann es immer wieder zu Bugs kommen. Mindestens noch zwei Wochen schätze ich.”
“ZWEI WOCHEN!” keucht der Chef. “Nein.” ruft er entschieden. “Setzten Sie es bis Ende der Woche in Betrieb!”
“Aber…“
“Keine Widerrede.” bellt er und marschiert davon.
Nach Freigabe der Feuerwehr kehren wir wieder in unser Büro zurück.
“Schalte den Lasttest ab.” kommandiere ich und wedele in Richtung einer Reihe gelber Punkte auf der Konsole der Systemüberwachung. Seit die Erbsenzähler sich geweigert haben, die letzte Aufrüstung des Clusters zu bezahlen, starten wir in ihren Dockercontainern wahlweise ein Defragmentierungsprogramm, eine Festplattenprüfsoftware oder ein äußerst ineffizientes Shellscript, das versucht Pi zu errechnen.
“Ist aus.”
Eine Reihe von Containern wird neu deployed, andere werden durch einen kurzen Eingriff via exec schneller.
Ausgezeichnet. Mit wenigen Tastenanschlägen deployed eine Reihe neuer Container auf den Cluster und beginnt sogleich eine große Menge CPU Last zu erzeugen.
Zwei Tage später betritt der Chef nervös unser Büro.
“Haben Sie meine 3D Kamera irgendwo gesehen?” fragt er.
“Haben Sie sie verlegt?” frage ich scheinheilig.
“Ich könnte schwören, dass sie vor dem Mittagessen noch auf meinem Mointor montiert war.” murmelt er.
“Seltsam.” sage ich gefasst. “Sind Sie sicher, die Kamera nicht im Homeoffice liegen gelassen zu haben?”
Er kratzt sich am Hintern. “Ja.. nun… nein?!”
“Kein Problem.” und ich zaubere eine Ersatzkamera unter meinem Schreibtisch hervor, die verdächtig wie die aussieht, die vor einer halben Stunde noch über seinem Monitor befestigt war. Währenddessen kommt Jessy ins Büro und gibt mir unauffällig ein Zeichen.
“Danke!” sagt er mit heiterer Stimme und verlässt unser Büro.
“Wozu war das nun wieder gut?” fragt Jessy.
“Für den dritten Akt, meine Liebe.”
Gebannt schauen wir auf den Monitor und verfolgen den Start der virtuellen Konferenz. Ich drücke einige Knöpfe und wir sehen den Avatar des Chefs, sowie eine Reihe Mitarbeiter verschiedener Abteilungen, die sich langsam in ihren virtuellen Sitzen einfinden. Als die Konferenz beginnt, schauen wir dem Chef dabei zu, wie er erklärt, dass aufgrund des Fachkräftemangels ein guter Teil des Budgets für Server und Rechenleistung für die Aufstockung der Gehälter zweier wichtiger Angestellter im IT Bereich verwendet werden muss. Da weitere Gelder abgelehnt wurden, leide daher die Rechenleistung, die den Abteilungen zur Verfügung steht, was augenblicklich zu Unmut unter den Teilnehmern führt. Ferner gibt er großmütig zu Prokotoll, dieses Jahr eine Nullrunde zu akzeptieren und dass dies im besten Interesse der Firma sei.
Noch während wir gespannt seinen Ausführungen zur Firmenhirarchie lauschen, sprintet eine Gestalt an unserer Tür vorbei und knallt gegen die Sicherheitsverglasung des Serverraums, als der im Wartungsmodus befindliche Kartenleser die hastig vorbeigeführte Identifikationskarte mit einem hässlichen Ton als ungültig quittiert. Durch das milchige Sicherheitsglas können wir beobachten, wie der Chef die Feueraxt aus einem naheliegenden Brandschutzset entfernt und damit beginnt auf die Tür einzudreschen. Diese gibt schließlich unter Einwirkung des Stahls nach, löst aber auch den Sicherheitsalarm aus.
Als die Wachleute ihn wenig später aus dem Raum zerren, können wir nur noch die Überreste der Appliance begutachten. Die Axt hat das Mainboard diagonal durch den Deckel hindurch gespalten und so dem Spuk ein Ende bereitet. Allerdings nicht zeitig genug, um den Chef der Erbsenzähler nicht als einen Geizhals mit der mentalen Kapazität einer 5 1/4 Zoll Diskette zu titulieren, der einen Bitcoin nicht von einem Token für die Firmentoiletten im Foyer (ugs. Shitcoin) unterscheiden könne und seinen Rücktritt zu fordern.
Wer hätte gedacht, dass die Meetingkultur der Firma in Verbindung mit einem LLM und etwas videogestützer KI so nützlich sein könnte? Oder, dass die Versicherung gegen Schäden für das neue VR Videochatsystem so schnell auszahlen würde? Und auf das von uns angegebene Konto. Nebenbei wurde auch die Aufstockung des langsamen Containerclusters genehmigt.
So eine KI ist schon ein tolles Ding.